Niemand ist gezwungen, in Atomkraft zu investieren
Die Aufregung ist groß, seit die EU-Kommission Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen in die Reihe der nachhaltigen Technologien aufgenommen hat, die im Rahmen der Taxonomie nachhaltiger wirtschaftlicher Tätigkeiten definiert werden. Schnell war hier von Green Washing die Rede – teilweise wurde die Sinn- und Ernsthaftigkeit des gesamten Vorhabens in Frage gestellt, erstmals eine rechtlich verbindliche, technische Definition von „Nachhaltigkeit“ zu schaffen. So richtig die Kritik an der Einstufung der umwelt- und gesundheitsgefährdenden Atomkraft als nachhaltig ist, so wichtig ist es, die Auswirkungen dieser Einordnung differenziert zu betrachten.
So ist es zum einen wenig zielführend, den Gesamterfolg der Taxonomie an einer Technologie festzumachen – selbst wenn diese eine hohe Symbolkraft hat. Hier haben Experten über mehrere Jahre einen sehr detaillierten und oft ambitionierten Katalog von technischen Anforderungen für eine Vielzahl von wirtschaftlichen Tätigkeiten definiert – von der Herstellung von Zement und Wasserstoff bis zur Gestaltung von Immobilien und eben der Erzeugung von Energie. Damit wird für zahlreiche Industrien ein Entwicklungspfad vorgegeben, der sie in eine klimaverträgliche und ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft führt. Dieser wichtige Fortschritt sollte wegen der Aufnahme der Atomkraft nicht in Bausch und Bogen in Frage gestellt werden. Zudem enthält die Taxonomie mit der „Do no significant harm“-Regelung sowie den „Social Safeguard Standards“ selbst Korrekturmechanismen, die dazu führen müssen, dass Atomkraft zwar als klimaverträglich, aber nicht als umweltverträglich und – angesichts der Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von Uran – als sozial verantwortlich eingestuft werden kann.
Zum anderen wird auch durch die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie kein Investor dazu gezwungen, in diese Technologie zu investieren. Derzeit gehört beispielsweise die Atomkraft zu den Top 10 der am nachhaltigen Kapitalmarkt in Deutschland genutzten Ausschlusskriterien und alle rund 260 Nachhaltigkeitsfonds, die derzeit mit dem Qualitätssiegel des Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG) ausgezeichnet sind, investieren nicht in Unternehmen, die Atomkraftwerke betreiben oder Uran abbauen. Nicht vergessen werden sollte zudem, dass sich auch zahlreiche Banken aus der Finanzierung von Atomkraftwerken zurückgezogen haben. Vor diesem Hintergrund ist insgesamt nicht zu erwarten, dass es zu einer grundlegenden Neubewertung dieser Technologie am Kapitalmarkt kommt.

Newsletter vom 23. Februar 2022
Rolf D. Häßler – Geschäftsführer
NKI Institut für nachhaltige Kapitalanlagen
